Das ist für einen Wohlstandsstaat schon ein Armutszeugnis: Mit einer Quote 12,2 Prozent weist Deutschland im Jahr 2022 die vierthöchste Schulabbrecherquote in der gesamten Europäischen Union auf. Mit dem Startchancen-Programm zur Förderung von Brennpunktschulen soll diese miserable Bilanz nun aufpoliert werden. Ein Ansatz, der genau in die richtige Richtung geht, doch aus Sicht des Deutschen Kinderbulletins viele unbeantwortete Fragen aufwirft.
Zunächst zu den Fakten: Nach Daten der europäischen Statistikbehörde Eurostat haben aktuell Rumänien mit 15,6 Prozent, gefolgt von Spanien mit 13,9 Prozent und Ungarn mit 12,4 Prozent die höchste Quote im Bereich „Frühzeitiger Schul- und Ausbildungsabgänger“, wie Schulabbrecher in der Statistik bezeichnet werden. Danach folgt dann aber schon gleich Deutschland- weit hinter dem EU-Schnitt. Dort hat sich die durchschnittliche Schulabbrecherquote von 2018 bis 2022 von 10,5 auf 9,6 Prozent verbessert. Im Jahr 2018 waren es hierzulande auch „erst“ 10,3 Prozent. Tendenz somit steigend.
Welche gesamtgesellschaftlichen Dimensionen diese Entwicklung hierzulande bereits erreicht hat, zeigt Andrea Nahles, Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), allein für die Hauptschulabbrecher schonungslos auf: „Jedes Jahr verlassen 47.000 junge Leute die Hauptschule ohne Abschluss. Wenn Sie wissen, dass die Arbeitslosenquote von Menschen ohne Schul- und Berufsabschluss bei rund 20 Prozent liegt, die von solchen mit Schul- und Berufsabschluss aber nur bei 3 Prozent, ahnen Sie, welche Herausforderungen uns das Bildungssystem Jahr für Jahr aufbürdet.“
Große Hoffnungen, die bisherigen unzureichenden frühkindlichen Entwicklungsanregungen von Kindern aus bildungsfernen Familien zum Teil ausgleichen zu können, werden nun aber vor allem auf ab dem Schuljahr 2024/25 beginnende bundesweite Startchancen-Programm zur Förderung von so genannten Brennpunktschulen gesetzt. Es soll jährlich bis zu zwei Milliarden Euro fließen, wobei sich Bund und Länder in gleicher Höhe beteiligen sollen. Insgesamt wären dies dann rund 20 Milliarden Euro über einen Zeitraum von zehn Jahren. "Von diesem Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag der Ampelregierung sollen etwa 4.000 Schulen und Berufsschulen – darunter 60 Prozent Grundschulen - und insgesamt rund eine Million Schülerinnen und Schüler erreicht werden. Dabei sollen die dortigen Kinder fachlich und personell gerade in den Kernfächern Deutsch und Mathematik sowie im sozialen Umfeld gezielt gefördert werden, um deren Ausbildungs- und Berufschancen zu erhöhen.
Trotz aller Chancen, die dieses Programm mit sich bringt (für jeden Schulabschluss mehr ist jeder investierte Euro sein Geld wert), drängen sich zugleich Fragen auf, die das Deutsche Kinderbulletin nun aufwirft.
Problem 1: Welche Schulen sollen von dem Programm überhaupt profitieren? Es wird für die Länder, die dies zu entscheiden haben, eine knifflige Aufgabe werden, die 4.000 Schulen auszuwählen, die von dem Programm profitieren sollen. Mindestens genauso viele Schulen, die sich ebenfalls als Brennpunktschule sehen, werden da auf der Strecke bleiben
Problem 2: Die Investitionen von bis zu 2 Milliarden Euro pro Jahr können angesichts des hohen Unterstützungsbedarfs von so vielen Schülern aus bildungsfernen Familien eigentlich nur ein Anfang sein. Nur. Wo sollen angesichts der knappen Haushaltskasse in Zukunft noch mehr Mittel herkommen?
Problem Nummer 3:Das Startchancen-Programm setzt viel zu spät an. Milliarden-Investitionen für die frühkindliche Bildung müssten bereits viel früher – also im Kindergartenalter – vorgesehen werden. Denn Kinder, die mit großem Rückstand im Sprachverständnis und bei der Allgemeinbildung in die Grundschule kommen, haben von vorneherein deutlich schlechtere Zukunftsperspektiven, die dann in der Schule nur noch zum Teil aufgeholt werden können. Deshalb ist es besonders wichtig, Vorläuferfähigkeiten bereits im Vorschulalter zu entwickeln, da diese im Kindergartenalter leichter zu erwerben und damit eine fundamentale Basis für das schulische Lernen sind.
Fazit des Deutschen Kinderbulletins: Ein Startchancen Programm für Kinder aus benachteiligten Familien sollte unbedingt bereits im KiTa-Alter beginnen! Dabei sollte man zunächst Kindergärten in Brennpunkt-Quartieren mit gezieltem Fachpersonal und Bildungskonzepten fördern. Davon würden dann auch die Grundschulen automatisch profitieren, weil sich die Startchancen aller Schüler etwas angleichen würden.